Es gibt Momente, in denen wir spüren, dass wir nichts leisten müssen. Nichts darstellen. Nicht mehr werden müssen, sondern einfach sein dürfen. Diese Momente sind selten und doch erinnern sie uns an etwas ganz Ursprüngliches. An ein inneres Ganzsein. An eine Stille, in der nichts fehlt. An das, was in der indischen Philosophie Pūrṇatā genannt wird: Fülle.
Was bedeutet Pūrṇatā?
Das Sanskritwort Pūrṇa bedeutet „voll“, „ganz“, „vollständig“.
Pūrṇatā ist die Qualität dieses Vollständigseins, ein Zustand des inneren Genugseins, unabhängig von äußeren Umständen.
Nicht als Idee oder Ziel, sondern als etwas, das immer da ist.
Diese Sichtweise ist tief in der indischen Weisheitstradition der Vedanta Lehre verwurzelt und wird in dem Purnamada Mantra aus den Upanishaden offenbar:
oṁ pūrṇam adaḥ pūrṇam idam
pūrṇāt pūrṇam udacyate
pūrṇasya pūrṇam ādāya
pūrṇam evāvaśiṣyate
„Jenes ist Fülle. Dieses ist Fülle. Aus der Fülle entsteht Fülle. Nimmt man Fülle von der Fülle, bleibt Fülle bestehen.“
Fülle wird nicht weniger, wenn wir sie teilen. Aus Ganzheit geht nichts verloren. Es liegt nichts außerhalb von uns, das uns „ganz machen“ muss.
Pūrṇam – eine Erinnerung
Dieses Mantra ist nicht als spirituelles Ideal gemeint. Es ist vielmehr eine Erinnerung.
Ein Innehalten inmitten des Alltags, das uns fragt:
Was wäre, wenn du genau jetzt schon vollständig wärst?
Vielleicht bedeutet das, einen Augenblick lang nichts verbessern zu müssen. Nicht dich selbst, nicht andere, nicht die Welt. Sondern zu sehen: Da ist schon so viel.
Vielleicht ist das die leise Kraft von Pūrṇam:
Nicht in der Fülle des Konsums, sondern in der Fülle des Seins. Nicht in Lautstärke, sondern im Stillwerden. Nicht im Streben, sondern im Erkennen.
Ein Juli voller Fülle
Der Sommer kann uns daran erinnern:
Wir dürfen aufblühen – nicht um jemand zu werden, sondern weil wir schon sind.
Wir dürfen geben – weil nichts verloren geht, wenn wir aus der Fülle schöpfen.
Wir dürfen sein – inmitten des Lebens, und inmitten von uns selbst.
Was bleibt, ist Fülle. Immer. Auch wenn wir sie manchmal nicht sehen.
Pūrṇam evāvaśiṣyate – Fülle bleibt.
Namasté Melanie
Foto @ Andreas Brüggemann