Satya, das zweite der fünf Yamas, gehört zu jenen Grundlagen, auf denen der achtgliedrige Pfad des Yoga nach Patañjali ruht. Es erinnert uns daran, wie wesentlich Wahrhaftigkeit ist als leise, innere Ausrichtung, die unser Denken, Sprechen und Handeln durchdringt. Sie entsteht aus Klarheit, Liebe und innerer Aufrichtigkeit. Satya bedeutet „Wahrhaftigkeit“. Doch in der Tiefe meint es weit mehr als das Sprechen der Wahrheit.
Es ist die Einladung, ehrlich zu sein mit dem, was ist, mit dem, was wir fühlen, denken, sagen oder tun. Mit uns selbst und mit anderen. Wahrhaftigkeit ist eine Haltung, die nicht trennt, sondern verbindet. Satya ist eine Haltung des Herzens. Sie fragt: Wie kann ich wahrhaftig sein und dabei liebevoll bleiben?
Im Yoga Sutra von Patanjali heißt es:
„satya-pratiṣṭhāyām kriyā-phala-āśrayatvam“
Wenn jemand in Wahrhaftigkeit (Satya) gefestigt ist, ruht die Frucht seines Handelns auf der Wahrheit.
Wir müssen nichts erzwingen, denn Wahrheit wirkt still und klar aus sich heraus. Sie entsteht, wenn wir wirklich zuhören: Unserem Atem, unserem Körper, den feinen Regungen in uns. Wenn wir uns erlauben, authentisch zu sein, ohne uns zu verbiegen, dann kann etwas Echtes, Sanftes, Kraftvolles entstehen.
Doch Satya bedeutet nicht, immer alles zu sagen. Manchmal ist Wahrhaftigkeit Stille. Manchmal ist sie ein sanftes Nein, ein offenes Herz, ein ehrlicher Blick. Sie braucht Achtsamkeit, die Fähigkeit zu spüren, was in einem Moment wirklich heilsam ist. Wahrhaftigkeit ist Mut und Hingabe zugleich. Sie lädt uns ein, Schritt für Schritt das abzulegen, was uns nicht mehr entspricht und in uns selbst eine Klarheit zu finden, die sanft leuchtet.
Satya im Alltag – ehrlich und liebevoll
Mit mir selbst
In der Yogapraxis wie im Leben können wir üben, dieser inneren Wahrheit zuzuhören. Sie zeigt sich in feinen Empfindungen. Im Atem, in der Körperhaltung, in der Stimmung. Wenn wir still werden, können wir erkennen, was sich echt anfühlt, und was wir vielleicht aus Gewohnheit aufrechterhalten.
Impulsfragen:
Welche Wahrheit in mir möchte Raum bekommen still, aber klar?
Wo in mir spüre ich, dass etwas nicht mehr stimmig ist?
Welche Gedanken oder Gefühle halte ich zurück, um Harmonie zu bewahren?
Wie klingt meine innere Stimme, wenn ich ihr wirklich zuhöre?
Was verändert sich, wenn ich beginne, aufrichtig mit mir selbst zu sprechen?
Mit anderen
Wahrhaftigkeit in Beziehungen bedeutet, präsent zu sein. Offen, klar und mitfühlend. Ehrlichkeit ohne Liebe wird hart, Liebe ohne Ehrlichkeit wird leer. Satya lädt uns ein, beides zu vereinen: Klarheit mit Herz.
Impulsfragen:
Wie kann ich ehrlich sprechen, ohne zu verletzen?
Wann darf ein Nein ebenso liebevoll sein wie ein Ja?
Wo halte ich mich zurück, aus Angst, nicht verstanden zu werden?
Wie fühlt es sich an, wenn ich aus dem Herzen statt aus Pflicht handle?
Was geschieht, wenn ich die Wahrheit eines anderen stehen lassen kann, ohne sie mit meiner zu vergleichen?
Satya als Weg
Satya ist kein Zustand, den man erreicht, sondern eine fortwährende Praxis des Erkennens. Wahrhaftigkeit bedeutet, sich selbst immer wieder neu zu begegnen. Offen, achtsam, ehrlich. Wenn wir den Mut haben, der stillen Wahrheit in uns Raum zu geben, kann Frieden entstehen. In uns selbst und in der Begegnung mit anderen.
Namasté
Melanie
Foto @ Andreas Brüggemann